


Migräne während Ausbildung und Studium: Herausforderungen und Lösungen
Ausgerechnet in Prüfungen, während Gruppenarbeiten oder in Praktika schlägt die Migräne zu. Doch mit gezielten Strategien, offenem Austausch und Deinem Durchhaltewillen findest Du Wege, Ausbildung und Studium erfolgreich zu meistern.
Das Tückische an Migräne ist ihre Unvorhersagbarkeit. Sie kommt oft zu den ungünstigsten Momenten: kurz vor einer wichtigen Prüfung, während einer Gruppenarbeit oder mitten in einem Praktikum. Die Symptome können so schwerwiegend sein, dass Du buchstäblich nicht in der Lage bist, normal zu funktionieren.
Das kannst Du tun:
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Sprich offen mit Dozierenden und Ausbildenden über Deine Erkrankung, gerne unterstützt von einem kurzen Erläuterungsschreiben Deines Arztes.
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Führe ein Migränetagebuch (digital oder handschriftlich), um Muster und Trigger zu erkennen und präventiv entgegenzusteuern.
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Nutze Entspannungstechniken wie progressive Muskelentspannung oder Atemübungen, um akuten Stress sofort abzubauen.
Auswirkungen auf Ausbildung und Studium
Zu den Auswirkungen auf Deine Ausbildung und Dein Studium gehören nicht nur verpasste Tage, sondern oft auch ein spürbarer Rückstand im Lernstoff und ein steigender Druck, alles wieder aufzuholen. Jeder Ausfall reisst Dich aus Deinem Rhythmus, denn während Du fehlst, läuft der Unterricht weiter – und die Lücken werden grösser. Schnell entsteht das Gefühl, dem Stoff hinterherzuhinken, und der Versuch, Versäumtes in der Freizeit nachzuarbeiten, bringt zusätzliche Anspannung. Dieses Hin- und Herspringen zwischen Unterricht und Eigenstudium kann Deinen Tagesablauf durcheinanderbringen, Deine Pausen verkürzen und damit wiederum Migräneattacken begünstigen. So schliesst sich der Kreis: Mehr Stress führt zu mehr Anfällen – und noch mehr Stress.
Das kannst Du tun:
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Plane Pufferzeiten im Stunden- und Arbeitsplan ein, damit Du bei Fehlzeiten nicht unter Zeitdruck gerätst.
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Plane realistische Tagesziele und feiere kleine Erfolge statt Perfektion.
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Integriere Entspannungs- und Pausenrituale fest in Deinen Tagesablauf.
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Nutze Entspannungstechniken, Coachings oder psychologische Beratung, um Stress abzubauen.
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Nutze Lernplattformen und Mitschriften von Kommiliton:innen, um verpassten Stoff flexibel nachzuholen.
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Beantrage frühzeitig Nachteilsausgleiche (verlängerte Abgabefristen, separate Prüfungsräume) bei Hochschule oder kantonalem Prüfungsamt.
Die sozialen und psychologischen Dimensionen
Eine der grössten Herausforderungen ist das Unverständnis der Umgebung. Migräne ist eine «unsichtbare» Krankheit – von aussen sieht man Dir Dein Leiden oft nicht an. Das führt zu Vorwürfen, Du würdest simulieren oder seist arbeitsunwillig. Mitschüler und Kollegen verstehen oft nicht, warum Du an einem Tag völlig normal funktionierst und am nächsten Tag nicht einmal das Haus verlassen kannst.
Diese Stigmatisierung kann zu sozialer Isolation führen. Viele Betroffene ziehen sich zurück, verzichten auf Freizeitaktivitäten oder soziale Ereignisse, weil sie befürchten, dass eine Attacke sie öffentlich blosstellen könnte. Das Gefühl des Versagens ist allgegenwärtig – besonders wenn Du siehst, wie andere scheinbar mühelos durch Ausbildung oder Studium kommen.
Das kannst Du tun:
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Baue Dir ein Support-Netzwerk auf: Tritt einer Migräne-Selbsthilfegruppe (z.B. Migraine Action) oder Online-Community bei.
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Informiere Freund:innen und Kommiliton:innen über typische Symptome und den Umgang im Notfall.
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Nutze psychosoziale Beratungsangebote an der Hochschule oder durch Pro Infirmis, um Schuldgefühle und Ängste abzubauen.
Spezifische Herausforderungen in der Ausbildung
In der Ausbildung sind die Herausforderungen besonders vielschichtig. Die strukturierten Abläufe mit festen Arbeitszeiten und Anwesenheitspflichten lassen wenig Raum für die Unvorhersagbarkeit der Migräne. Wenn Du in der Praxis fehlst, können sich die Fehlzeiten schnell summieren. Bei handwerklichen Berufen oder körperlich anstrengenden Tätigkeiten kann die Migräne besonders einschränkend wirken.
Ein weiteres Problem ist die Kommunikation mit Ausbildern. Viele wissen nicht, dass Migräne eine anerkannte neurologische Erkrankung ist und nicht «nur» ein Kopfschmerz. Dies kann zu Konflikten führen, wenn Du ärztliche Atteste vorlegst oder um Verständnis für Deine Situation bittest.
Bestimmte Berufsfelder sind für Migräne-Betroffene besonders problematisch. Schichtarbeit, Tätigkeiten mit hohem Stresslevel oder Berufe, die neurologische Ausfälle nicht tolerieren (wie Polizei oder Piloten), können die Berufswahl einschränken.
Das kannst Du tun:
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Kläre mit dem Berufsbildner, ob bei längeren Absenzen eine Ausbildungsverlängerung möglich ist.
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Verhandle im Lehrvertrag Regelungen zu flexiblen Pausen und ergonomischer Ausstattung.
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Teste im Schnupperpraktikum, ob Lichtverhältnisse, Lärmpegel und Arbeitsabläufe für Dich tragbar sind.
Herausforderungen im Studium
Das Studium bringt andere, aber nicht weniger schwerwiegende Probleme mit sich. Die Flexibilität, die das Studium theoretisch bietet, kann sich als Trugschluss erweisen, wenn Anwesenheitspflichten, Abendveranstaltungen oder intensive Lernphasen mit Deiner Migräne kollidieren.
Der hohe Leistungsdruck im Studium kann ein starker Migräne-Trigger sein. Prüfungsphasen sind besonders kritisch: Der Stress der Vorbereitung, der Schlafmangel und die Anspannung können eine Kaskade von Attacken auslösen. Wenn Du dann auch noch während einer Prüfung eine Attacke bekommst, ist das besonders frustrierend.
Die finanzielle Belastung ist ein weiterer Aspekt. Längere Studienzeiten durch krankheitsbedingte Verzögerungen können die Finanzierung erschweren. Gleichzeitig entstehen höhere Kosten durch Arztbesuche und Medikamente.
Das kannst Du tun:
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Gestalte Deinen Stundenplan nach Deinen «Hochleistungszeiten» und baue längere Pausen ein.
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Beantrage studiumsanpassende Massnahmen (HybridTeilnahme, Aufzeichnungen, flexible Deadlines).
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Suche finanzielle Hilfe über Gertrud Rüegg Stiftung, Pro Infirmis, kantonale Stipendien oder Google Europe Scholarship.
Die Trigger-Problematik am Lern- und Arbeitsort
Ausbildungs- und Studienplätze können voller Migräne-Trigger sein. Grelles oder flackerndes Licht, Lärm, schlechte Sitzhaltungen, Stress und Zeitdruck sind nur einige der Faktoren, die eine Attacke auslösen können. In Grossraumbüros oder lauten Werkstätten ist die Reizüberflutung besonders problematisch. Das Dilemma liegt darin, dass Du oft wenig Kontrolle über diese Umgebungsfaktoren hast.
Das kannst Du tun:
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Investiere in Blaulichtfilter-Software, Bildschirmfilter und geräuschreduzierende Kopfhörer.
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Bitte um dimmbare LED-Beleuchtung oder Arbeitsplätze mit Tageslichtregulierung.
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Nutze wenn möglich Homeoffice-Tage oder ruhige Rückzugsräume.
Medikamentenmanagement und Nebenwirkungen
Ein weiteres komplexes Problem ist das Medikamentenmanagement. Viele nehmen einfache nicht spezifische Schmerzmittel ohne ärztliche Verordnung – bei Studierenden sind es über 90 Prozent.
Lass Dich in Deiner Apotheke beraten. Apotheker:innen können bei klarer Diagnose migränespzifische wirksame Migränemittel auch ohne ärztliches Rezept abgeben. In der Apotheke kannst Du auch weitere Informationen zur Therapie erhalten, denn unwirksame oder zu oft eingestzte Schnmerzmittel können zu Medikamentenübergebrauchskopfschmerzen führen, die das Problem noch verschlimmern.
Gleichzeitig kann die Einnahme von Migränemedikamenten während der Arbeitszeit problematisch sein: Wo nimmst Du Deine Medikamente diskret ein? Wie gehst Du mit Nebenwirkungen um, die Deine Leistungsfähigkeit beeinträchtigen?
Das kannst Du tun:
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Halte die «10/20-Regel» ein: max. 10 Schmerzmitteltage pro Monat, 20 freie Tage.
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Erarbeite mit Deinem Arzt einen Akut- und Prophylaxe-Plan (Triptane, CGRP-Blocker).
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Nutze Reminder-Apps für Einnahmeprotokoll und vermeide Übergebrauch.
Rechtliche und administrative Hürden
Die Beantragung von Nachteilsausgleichen oder die Anerkennung einer Behinderung können komplexe administrative Prozesse sein. Viele wissen nicht, welche Rechte sie haben oder wie sie diese durchsetzen können.
Das kannst Du tun:
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Lass Dir von Deiner Neurologin ein aktuelles Fachgutachten ausstellen und beantrage frühzeitig Nachteilsausgleich oder IV-Leistungen.
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Hole Dir Unterstützung bei der Disability-Anlaufstelle Deiner Hochschule oder einem Sozialdienst.
Auswirkungen auf die Zukunftsplanung
Migräne beeinflusst nicht nur die aktuelle Ausbildung oder das Studium, sondern auch die langfristige Karriereplanung. Viele Betroffene zweifeln daran, ob sie überhaupt in der Lage sein werden, eine normale Berufstätigkeit auszuüben.
Das kannst Du tun:
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Arbeite mit einem Berufscoach heraus, welche Tätigkeiten zu Deinen Stärken und Deinem Migräneprofil passen.
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Erprobe Teilzeit-Praktika oder Job-Sharing-Modelle, um Deine Belastbarkeit zu testen.
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Bleibe informiert über flexible Arbeitsmodelle (Remote-Work, KI-Assistenz), die migränefreundlich sind.
Mit einer Kombination aus medizinischer Betreuung, cleverem Selbstmanagement, rechtlicher Absicherung und einem offenen, lösungsorientierten Umgang mit Deinem Umfeld kannst Du die Herausforderungen der Migräne meistern und Deine Ziele verwirklichen. Deine Migräne definiert nicht Deine Fähigkeiten oder Dein Potenzial – sie ist eine Herausforderung, die Du erfolgreich bewältigen kannst. Deine Zukunft liegt in Deinen Händen – und Du hast alles, was Du brauchst, um sie zu gestalten.
