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Rechtliche Lage in der Schweiz:
Was Arbeitgeber im Zusammenhang mit Migräne wissen müssen

Migräne verursacht in der Schweiz jährlich hohe Kosten und ist eine der häufigsten Ursachen für Arbeitsausfälle. Der folgende Überblick erklärt, welche Rechte und Pflichten Arbeitgeber bei migränebetroffenen Mitarbeitenden haben – von Arztzeugnissen über Lohnfortzahlung bis zu Datenschutz und möglichen Anpassungen am Arbeitsplatz.

Die rechtlichen Grundlagen für den Umgang mit migränebetroffenen Mitarbeitenden sind für Schweizer Arbeitgeber von entscheidender Bedeutung. Mit rund 1,2 Millionen Betroffenen und erheblichen jährlichen Kosten handelt es sich nicht um ein Randphänomen, sondern um eine weitverbreitete neurologische Erkrankung mit betriebswirtschaftlichen Auswirkungen.

Arbeitgeber stehen vor der Herausforderung, einerseits die Bedürfnisse migränebetroffener Angestellter zu berücksichtigen und andererseits die betrieblichen Abläufe aufrechtzuerhalten. Die rechtlichen Rahmenbedingungen bieten Schutz für die Betroffenen und Klarheit für Unternehmen. Ein fundiertes Verständnis der gesetzlichen Bestimmungen ermöglicht rechtssicheres Handeln und ein unterstützendes Arbeitsumfeld.

Grundlagen des Schweizer Arbeitsrechts bei Migräne

Das Obligationenrecht (OR) bildet die zentrale Rechtsgrundlage für den Umgang mit krankheitsbedingten Arbeitsausfällen. Das Gesetz schreibt nicht vor, ab welchem Tag Angestellte ein ärztliches Zeugnis einreichen müssen. Arbeitgeber haben grundsätzlich das Recht, bereits ab dem ersten Krankheitstag ein Arztzeugnis zu verlangen.

In der Praxis verlangen viele Betriebe erst ab dem dritten oder fünften Tag der Arbeitsunfähigkeit ein ärztliches Zeugnis. Diese Regelungen sind meist in Arbeits- oder Gesamtarbeitsverträgen festgelegt. Bei Migränebetroffenen, die häufig unter kurzen, aber intensiven Attacken leiden, kann eine zu strenge Anwendung der Zeugnispflicht jedoch rechtsmissbräuchlich werden.

Praktischer Tipp: Entwickeln Sie eine schriftliche Richtlinie, die bei wiederkehrenden Kurzzeitabsenzen aufgrund von Migräne Flexibilität vorsieht. Dies schützt rechtlich und zeigt Verständnis für die Erkrankung.

Lohnfortzahlungspflicht und ihre Grenzen

Die Lohnfortzahlungspflicht bei Krankheit beginnt nach den ersten drei Anstellungsmonaten. Im ersten Dienstjahr ist der Lohn für mindestens drei Wochen zu entrichten, danach für eine "angemessene längere Zeit". Die Gerichtspraxis hat hierzu detaillierte Skalen entwickelt, die bis zu sieben Monate ab dem 25. Dienstjahr vorsehen.

Für Migränebetroffene gilt: Der Anspruch auf Lohnfortzahlung besteht pro Dienstjahr, nicht pro Krankheitsereignis. Bei wiederkehrenden Migräneattacken werden alle Abwesenheitstage eines Dienstjahres zusammengezählt. Auch häufige Kurzzeitabsenzen können so den gesamten Lohnfortzahlungsanspruch erschöpfen.

Wichtiger Hinweis: Bei teilweiser Arbeitsunfähigkeit verlängert sich der Anspruch entsprechend, bis der volle Lohnfortzahlungsanspruch abgegolten ist. Wer während Attacken nur 50% arbeiten kann, verbraucht die Ansprüche langsamer, aber kontinuierlich.

Kündigungsschutz und Sperrfristen bei Migräne

Das Schweizer Arbeitsrecht gewährt krankheitsbedingt arbeitsunfähigen Angestellten einen zeitlich begrenzten Kündigungsschutz. Die Sperrfristen betragen:
 

  • 30 Kalendertage im ersten Dienstjahr

  • 90 Kalendertage vom zweiten bis fünften Dienstjahr

  • 180 Kalendertage ab dem sechsten Dienstjahr
     

Dieser Schutz ist besonders für Migränebetroffene relevant, da die Erkrankung oft chronisch verläuft und zu regelmässigen Arbeitsausfällen führen kann. Während der Probezeit besteht kein Kündigungsschutz bei Krankheit.

Die Sperrfristen sind nicht mit der Lohnfortzahlungspflicht koordiniert. Das bedeutet: Auch wenn der Lohnfortzahlungsanspruch bereits erschöpft ist, kann einem migränebetroffenen Mitarbeitenden während der Sperrfrist nicht gekündigt werden.

Praxisempfehlung: Dokumentieren Sie alle krankheitsbedingten Absenzen sorgfältig und prüfen Sie vor jeder Kündigung, ob Sperrfristen greifen. Bei chronischen Erkrankungen empfiehlt sich eine frühzeitige Beratung durch Rechtsexperten.

Behindertengleichstellungsgesetz und Migräne

Das Behindertengleichstellungsgesetz (BehiG) kann bei schwerer, chronischer Migräne relevant werden. Es soll Benachteiligungen von Menschen mit Behinderungen verhindern, verringern oder beseitigen. Obwohl Migräne nicht automatisch als Behinderung gilt, können schwere Verlaufsformen unter den Schutzbereich fallen.

Das Bundesgericht hat die UN-Behindertenrechtskonvention (BRK) als rechtliche Grundlage für angemessene Anpassungsmassnahmen am Arbeitsplatz anerkannt. Auch private Arbeitgeber könnten künftig verpflichtet werden, angemessene Vorkehrungen zu treffen, um Benachteiligungen zu verhindern – etwa durch flexiblere Arbeitszeiten für Migränebetroffene.

Zukunftsorientierter Ansatz: Positionieren Sie sich bereits heute als inklusiver Arbeitgeber, indem Sie proaktiv Anpassungen für chronisch kranke Mitarbeitende anbieten. Das schützt vor künftigen rechtlichen Anforderungen und stärkt die Arbeitgeberattraktivität.

Datenschutz und Persönlichkeitsrechte

Der Persönlichkeitsschutz migränebetroffener Angestellter ist gesetzlich streng geschützt. Nach Art. 328 und 328b OR dürfen Arbeitgeber nur Daten verarbeiten, die sich auf die Arbeitsfähigkeit beziehen oder für die Vertragserfüllung erforderlich sind.

Gesundheitsdaten sind grundsätzlich Privatsache. Arbeitgeber haben kein Recht zu erfahren, an welcher spezifischen Erkrankung ein Mitarbeitender leidet. Auch bei ärztlichen Zeugnissen oder vertrauensärztlichen Untersuchungen dürfen keine Diagnosedetails mitgeteilt werden.

Gleichzeitig besteht eine Treuepflicht der Angestellten, die es ermöglicht, notwendige Auskünfte für die Arbeitsorganisation zu verlangen. Migränebetroffene müssen über die voraussichtliche Dauer ihrer Arbeitsunfähigkeit informieren, nicht aber über spezifische Symptome oder Auslöser.

Best Practice: Führen Sie Gespräche über krankheitsbedingte Absenzen mit Fingerspitzengefühl. Fokussieren Sie auf praktische Aspekte wie Vertretungsregelungen und Wiedereingliederung, nicht auf medizinische Details.

Präventive Massnahmen und rechtliche Absicherung

Eine proaktive Herangehensweise schützt vor rechtlichen Problemen und fördert die Mitarbeiterzufriedenheit. Entwickeln Sie klare Richtlinien für den Umgang mit chronischen Erkrankungen, die sowohl betriebliche Bedürfnisse als auch die Rechte der Betroffenen berücksichtigen.

Empfohlene Massnahmen:

  • Flexible Arbeitszeitmodelle für Migränebetroffene einführen

  • Homeoffice-Möglichkeiten bei Attacken anbieten

  • Ruhezonen im Büro schaffen

  • Präventionsprogramme wie Stressmanagement implementieren
     

Der Abschluss einer kollektiven Krankentaggeldversicherung ist besonders empfehlenswert. Diese deckt in der Regel während 720 Tagen mindestens 80% des Erwerbsausfalls und entlastet von der direkten Lohnfortzahlungspflicht bei längeren Krankheiten.

Rechtliche Dokumentation: Führen Sie für jeden migränebetroffenen Mitarbeitenden eine anonymisierte Akte über Absenzmuster, getroffene Unterstützungsmassnahmen und deren Wirksamkeit. Das hilft bei der Optimierung der Prozesse und dient als Nachweis der Fürsorgepflicht.

Konkrete Handlungsempfehlungen für Arbeitgeber

Die rechtliche Lage in der Schweiz bietet einen ausgewogenen Rahmen zwischen Arbeitnehmerschutz und unternehmerischen Interessen. Als verantwortungsvoller Arbeitgeber können Sie durch folgende Massnahmen rechtliche Risiken minimieren und gleichzeitig ein unterstützendes Arbeitsumfeld schaffen:

Kurzfristige Massnahmen (sofort umsetzbar):

  • Überprüfen Sie bestehende Arbeitsverträge bezüglich Arztzeugnisregelungen

  • Schulen Sie Führungskräfte im sensiblen Umgang mit krankheitsbedingten Absenzen

  • Implementieren Sie klare Kommunikationsrichtlinien für Krankmeldungen

  • Prüfen Sie den Abschluss einer Krankentaggeldversicherung
     

Mittelfristige Entwicklungen (3–6 Monate):

  • Entwickeln Sie eine umfassende Richtlinie für chronische Erkrankungen

  • Etablieren Sie flexible Arbeitsmodelle als Standard

  • Schaffen Sie physische Rückzugsmöglichkeiten am Arbeitsplatz

  • Führen Sie regelmässige Mitarbeitergespräche über Arbeitsplatzanpassungen
     

Langfristige Strategie (6–12 Monate):

  • Positionieren Sie sich als inklusiver Arbeitgeber in der Rekrutierung

  • Implementieren Sie systematische Präventionsprogramme

  • Bereiten Sie sich auf kommende Gesetzesänderungen vor

  • Messen Sie den ROI Ihrer Unterstützungsmassnahmen
     

Die Investition in migränefreundliche Arbeitsplätze zahlt sich mehrfach aus: durch geringere Fluktuation, höhere Mitarbeiterzufriedenheit und reduzierte rechtliche Risiken. Nutzen Sie die rechtlichen Rahmenbedingungen als Chance, um sich als attraktiver Arbeitgeber zu positionieren und das Potenzial Ihrer migränebetroffenen Mitarbeitenden voll auszuschöpfen.

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