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Was ist Migräne? – Kurz und knapp

Migräne ist weit mehr als «nur» Kopfschmerzen. Es handelt sich um eine komplexe neurologische Erkrankung, die das Leben von etwa einer Million Menschen in der Schweiz beeinträchtigt. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) stuft Migräne als zweithäufigste Ursache für Behinderung bei Menschen unter 50 Jahren ein. Trotz dieser dramatischen Zahlen wird die Erkrankung oft bagatellisiert und missverstanden.

Die Schweizerische Kopfwehgesellschaft (SKG) definiert Migräne als primären Kopfschmerz mit ausgeprägter Eigengesetzlichkeit, der einem bestimmten Zeitmuster folgt. Die Diagnose erfolgt nach den aktuellen Kriterien der International Headache Society (IHS).

Kernsymptome der Migräne

Die Diagnose einer Migräne basiert auf mindestens fünf Attacken, die spezifische Kriterien erfüllen müssen. Nach den IHS-Kriterien zeichnet sich eine Migräneattacke durch folgende Charakteristika aus:

Schmerzcharakter (mindestens 2 davon):

Hauptsymptome:

  • Meist einseitige Lokalisation (kann auch bilateral auftreten)

  • Pulsierender oder pochender Charakter

  • Mittlere bis starke Schmerzintensität

  • Verstärkung durch körperliche Aktivität
     

Begleitsymptome (mindestens 1 davon):

  • Übelkeit und/oder Erbrechen

  • Lichtempfindlichkeit (Photophobie)

  • Geräuschempfindlichkeit (Phonophobie)
     

Dauer:

  • Eine unbehandelte Migräneattacke dauert typischerweise 4 bis 72 Stunden.

 

Migräne mit und ohne Aura

Rund 85% der Migränepatienten leiden unter einer Migräne ohne Aura. Bei etwa 15% tritt eine Aura auf – neurologische Symptome, die der Kopfschmerzphase vorausgehen oder sie begleiten.

Aurasymptome umfassen:
 

  • Visuelle Störungen (Lichtblitze, Zickzacklinien, Gesichtsfeldausfälle)

  • Sensible Störungen (Kribbeln, Taubheitsgefühl)

  • Sprachstörungen

  • Motorische Störungen
     

Die Aura entwickelt sich langsam über 5 bis 60 Minuten und ist vollständig reversibel.

 

Diagnose

Die Diagnose erfolgt primär durch eine ausführliche Anamnese und neurologische Untersuchung. Zentrale Fragen umfassen:

  1. Lokalisation und Qualität des Schmerzes

  2. Häufigkeit und Dauer der Attacken

  3. Begleitsymptome

  4. Auslösende Faktoren

  5. Bisherige Therapien
     

Ein Migräne-Schnelltest kann die Diagnose unterstützen: Werden zwei von drei Fragen positiv beantwortet, ist die Wahrscheinlichkeit für eine Migräne sehr hoch:

  • Wurden Ihre Aktivitäten in den letzten drei Monaten über einen Tag oder länger durch Kopfschmerzen eingeschränkt?

  • Leiden Sie während der Kopfschmerzen an Übelkeit oder Erbrechen?

  • Stört Sie Licht, wenn Sie Kopfschmerzen haben?
     

Bildgebende Verfahren sind nur bei Warnsignalen oder atypischen Verläufen notwendig.
 

Auslösefaktoren – Individuelle Trigger verstehen

Migräne hat eine starke genetische Komponente – etwa 90 Prozent der Betroffenen haben eine familiäre Vorgeschichte. Auf dieser genetischen Basis können verschiedene Trigger eine Attacke auslösen:
 

Stress und Entspannung:

  • Akuter Stress

  • Entspannung nach Stress («Wochenend-Migräne»)

  • Emotionale Belastungen
     

Schlaf-Wach-Rhythmus:

  • Schlafmangel oder -überschuss

  • Schichtarbeit

  • Veränderte Schlafzeiten
     

Hormonelle Einflüsse:

  • Menstruation (Östrogenabfall)

  • Hormonelle Verhütungsmittel

  • Schwangerschaft
     

Ernährung:

  • Auslassen von Mahlzeiten (Unterzuckerung)

  • Bestimmte Lebensmittel (Schokolade, Käse, Rotwein)

  • Tyraminhaltige Nahrungsmittel

  • Dehydration
     

Umweltfaktoren:

  • Wetterveränderungen

  • Föhn

  • Grelles Licht

  • Lärm

  • Starke Gerüche
     

Die Auslöser sind hochindividuell. Ein Migräne-Tagebuch hilft dabei, persönliche Trigger zu identifizieren.

 

Therapie – Multimodaler Ansatz für bessere Lebensqualität

Eine erfolgreiche Migränebehandlung basiert auf einem individuell abgestimmten, multimodalen Therapiekonzept. Ziel ist es, sowohl die akuten Beschwerden effektiv zu lindern als auch langfristig die Anfallshäufigkeit und die Beeinträchtigung der Lebensqualität zu reduzieren.

Akuttherapie

Für die Akuttherapie stehen verschiedene Medikamente zur Verfügung, die je nach Schweregrad der Attacke ausgewählt werden.
 

Leichte bis mittlere Attacken > Schmerzmittel:

  • NSAR: Ibuprofen (400–800mg), Naproxen (500–1000mg), Diclofenac (50–150mg)

  • Acetylsalicylsäure (1000mg)

  • Paracetamol (1000mg) als zweite Wahl
     

Mittlere bis schwere Attacken > Triptane:
Sumatriptan (schnellste Wirkung)

  • Rizatriptan und Eletriptan (schnelle orale Wirkung)

  • Almotriptan und Eletriptan (beste Verträglichkeit)

  • Naratriptan und Frovatriptan (längste Wirkdauer)
     

Wichtige Behandlungsgrundsätze:

  • Frühzeitige Einnahme

  • Adäquate Dosierung

  • Kombination mit Antiemetika bei Übelkeit

  • Maximal 10 Behandlungstage pro Monat

 

Prophylaktische Behandlung

Eine Langzeitprophylaxe ist angezeigt, wenn Migräneattacken häufig, sehr schwer, langandauernd oder unzureichend auf Akuttherapeutika ansprechen oder die Lebensqualität deutlich beeinträchtigen.
 

Eine Langzeitprophylaxe ist indiziert bei:

  • Mehr als 3 Attacken pro Monat

  • Sehr schweren oder langandauernden Attacken

  • Ungenügender Wirksamkeit von Akuttherapeutika

  • Beeinträchtigung der Lebensqualität
     

Medikamentöse Optionen:

  • Betablocker (Propranolol, Metoprolol)

  • Antikonvulsiva (z.B. Topiramat)

  • Trizyklische Antidepressiva (Amitriptylin)

  • Migränespezifische CGRP-gerichtete Therapien (neueste Generation)

 

Nicht-medikamentöse Massnahmen

Neben der medikamentösen Therapie spielen Lebensstil und ergänzende Massnahmen eine wichtige Rolle im Gesamtkonzept.
 

Lifestyle-Interventionen:

  • Regelmässiges Ausdauertraining (3x wöchentlich 30-45 Minuten)

  • Entspannungsverfahren (Progressive Muskelrelaxation, Biofeedback)

  • Psychotherapeutische Begleitung

  • Akupunktur
     

Natürliche Substanzen:

  • Magnesium (2x300mg/Tag)

  • Riboflavin/Vitamin B2 (2x200mg/Tag)

  • Coenzym Q10 (3x100mg/Tag)

 

Migränespezifische CGRP-gerichtete Therapien 

Die CGRP-gerichtete Therapien stellen einen Durchbruch in der Migräneprophylaxe dar. Sie beeinflussen gezielt den Calcitonin Gene-Related Peptide (CGRP)-Weg, der eine zentrale Rolle in der Migräneentstehung spielt. Die innovativen monoklonalen CGRP-Antikörper wie z.B. Erenumab oder Fremanezumab verhindern gezielt die Wirkung von CGRP und reduzieren so die Anfallshäufigkeit. In der Schweiz werden sie meist als monatliche oder als 3-monatliche Spritze verabreicht (subkutane Selbstaplikation).

Gepante hingegen müssen nicht gespritzt, sondern oral eingenommen werden, entweder täglich (Atogepant) oder jeden zweiten Tag (Rimegepant).
 

Nicht-invasive Neurostimulation mit Geräten bietet ebenfalls nebenwirkungsarme Alternativen.

 

Migräne bei Frauen

Frauen sind dreimal häufiger betroffen als Männer. Hormonelle Schwankungen spielen eine zentrale Rolle:
 

  • Menstruelle Migräne (Zyklustage -2 bis +3)

  • Verschlechterung durch östrogenhaltige Verhütungsmittel

  • Oft Besserung nach der Menopause
     

Chronische Migräne

Bei 15 oder mehr Kopfschmerztagen pro Monat spricht man von chronischer Migräne. Behandlungsoptionen umfassen:
 

  • Botulinumtoxin A (155 Einheiten)

  • Migränespezifische CGRP-gerichtete Therapien

  • Topiramat (bei Mädchen und Frauen im gebärfähigen Alter sollten alternative Behandlungsmöglichkeiten in Betracht gezogen werden.)

 

Medikamentenübergebrauch

Einnahme von Akutmedikamenten an mehr als 10 Tagen pro Monat kann zur Chronifizierung führen. Ein kontrollierter Entzug ist dann notwendig.

 

Prognose und Lebensqualität

Migräne ist nicht heilbar, aber sehr gut behandelbar. Das Therapieziel ist eine 50-prozentige Reduktion der Attackenhäufigkeit und -intensität. Mit modernen Behandlungsansätzen können die meisten Betroffenen eine deutliche Verbesserung ihrer Lebensqualität erreichen.
 

Die Erkrankung zeigt im Lebensverlauf natürliche Schwankungen und wird oft im höheren Alter leichter oder verschwindet ganz. Entscheidend ist eine frühzeitige Diagnose und eine individuell angepasste Therapie, die sowohl medikamentöse als auch nicht-medikamentöse Massnahmen umfasst.

Für eine optimale Betreuung empfiehlt sich die Zusammenarbeit zwischen Hausarzt und Kopfschmerzspezialisten. Bei therapieresistenten Verläufen oder diagnostischer Unsicherheit sollte eine neurologische Abklärung erfolgen.

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